Mechthild Papoušek: Regulationsstörungen bei Schreibabys

Liebe Mütter, Liebe Väter

Eltern mit Schreibabys neigen dazu die Schuld bei sich zu suchen, oder gar sich gegenseitig die Schuld an der Situation zu geben. Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist sich davon los zu machen. Was Schreibabys ganz besonders brauchen sind stabile Eltern, die die Situation akzeptieren. Erfahrt viele wichtige Details in meinem Artikel.

Etwa bei 20 % der Säuglinge in Deutschland tritt exzessives Schreien auf. Die Babys schreien unverhältnismäßig viel und mehrere Stunden fast ununterbrochen. Für die betroffenen Eltern ist so ein Schreibaby eine enorme Belastung. Allerdings muss auch gesehen werden, dass ein Schreibaby leidet, denn kein kleiner Mensch schreit ohne Ursache.

baby-408262_1280 by TaniaVdB - pixabay.comStatistische Erhebungen sind für die betroffenen Eltern eigentlich nicht von Interesse. Sie stehen vor einem persönlichen Problem, dem sie im Umgang mit ihrem Kind begegnen müssen und vor der Aufgabe, unter enorm hoher nervlicher Belastung Ruhe und liebevolle Zuneigung auszustrahlen.

Daher soll sich dieser Artikel vor allem mit Möglichkeiten der Lösungen befassen.

Alle Angebote für eine Problembehandlung wahrzunehmen ist auch deshalb wichtig, weil – entgegen früherer Auffassungen – ein Schreibaby häufig in späterer Zeit ebenfalls Auffälligkeiten zeigt.

Mögliche Ursachen für das exzessive Schreien

Unter exzessivem Schreien beim Säugling, dem so genannten Schreibaby, versteht man:

„Schreien und Quengeln von mehr als drei Stunden täglich, an mindestens drei Tagen der Woche über mindestens drei Wochen. Bedeutsamer als das zeitliche Ausmaß ist jedoch das Kernsymptom des unstillbaren Schreiens, das nicht auf die normalen Beruhigungshilfen anspricht und bis zum Gipfel in den Abendstunden eskaliert.“

(int. anerkannte Dreierregel nach Wessel, zitiert papousek.de/mp_forschung_regulationsstoerungen.php)

baby-696980_1280 by amyelizabethquinn - pixabay.comDie Phase des exzessiven Schreiens dauert bei etwa 80 % der Schreibabys höchstens bis zum 3. oder 4. Monat.

Kinderärztliche Untersuchungen sollten immer alle krankheitsbedingten Ursachen ausschließen.

Die Ursache kann in vielen Dingen zu finden sein

Auch wenn Psychologen und Kinderärzte heute teils auf mögliche Ursachen während der Schwangerschaft hinweisen, sollten Eltern, vor allem Mütter, sich keinesfalls die Schuld am exzessiven Schreien geben.

Insgesamt ist festzustellen, dass ein Schreibaby auch nach einer normal verlaufenden Schwangerschaft, einer verhältnismäßig stressfreien, körperlich und psychisch stabilen Mutter, einer normal verlaufenden Geburt zur Welt kommt!

Dennoch werden natürlich auch Zusammenhänge mit der Schwangerschaft und Geburt festgestellt.

Mechthild Papoušek, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie beim Kinderzentrum München und ihr Team weisen darauf hin:

Während der 1991 ins Leben gerufenen „Sprechstunde für Schreibabys“ wurde festgestellt, dass es oft einen Zusammenhang von exzessivem Schreien und besonderen psychischen und körperlichen Belastungen der Mutter gab.

Auch der Kinderpsychologe Harald Wurmser kam in seiner Studie von 2009 zu diesem Schluss.

Anpassungsprozess an das Leben außerhalb des Mutterleibs

Beim exzessivem Schreien wird von einer „Regulationsstörung des Säuglings“ gesprochen.

Das bedeutet: Das Kind ist nicht in der Lage einen verhältnismäßig gleichmäßigen Rhythmus von Füttern, Schlafen, Beruhigen, Wachen zu finden.

Viele Kinder schaffen es sehr schnell, eine solche Regulation zu finden, andere haben größere Anpassungsschwierigkeiten. Hält man sich die gänzlich unterschiedlichen Bedingungen von Mutterleib und Lebensumwelt, einschließlich der enormen Eindrucksfülle vor Augen, sollte es eher verwundern, dass nur rund 20 % der Babys damit solche Schwierigkeiten haben.

Grafik zum Kreislauf der frühkindlichen Regulationsstörungen:

Quelle: papousek.de/mp_forschung_regulationsstoerungen.php

Augenfällig ist, dass die Zunahme oder überhaupt Wahrnehmung von Schreibabys eher kulturhistorisch vorhanden zu sein scheint.

Karl-Heinz Brisch, der Leiter der Abt. für Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie am Kinderspital der Uni München führte beispielsweise aus:

„Kollegen aus Südamerika lachen mich aus, wenn ich denen erzähle, dass Babys in Deutschland in eigenen Betten schlafen sollen, was meist ja doch nicht funktioniert.“

Tatsächlich ist das Phänomen Schreibaby in den Ländern Asiens, Südamerikas, vielen Ländern Afrikas und bei Naturvölkern nicht bekannt!

woman-607489_1280 by domho - pixabay.comDer Grund wird darin gesehen, dass die Säuglinge sehr eng im mütterlichen Körperkontakt gehalten und häufiger gestillt werden.

Es werden kaum bis gar nicht, Anstrengungen unternommen, dem Kind einen vorgegebenen Rhythmus überzustülpen.

Vielmehr ist der Säugling in den mütterlichen Tagesablauf direkt und selbstverständlich mit eingebunden.

Diese Feststellung könnte als Elterntipp interpretiert werden

Demnach kann es also hilfreich sein, das Baby im Tragetuch zu tragen, statt immer wieder neuerlich aufzunehmen, herumzutragen und so krampfhafte Beruhigungsversuche zu unternehmen.

Kulturelle Unterschiede in der hoch zivilisierten, industrialisierten, digitalisierten Welt der Kleinfamilie lassen sich nicht wegwischen. Das wäre auch insgesamt nicht wünschenswert.

Dennoch sollte man dem Baby die Anpassung an die neue Lebenssituation so einfach wie möglich machen.

So kann man sein Baby bestmöglich bei der Anpassung unterstützen

  • Schutz vor zu hoher und ständiger Reizüberflutung (Fernseher, Radio, PC nicht ständig in Betrieb haben, hohen Geräuschpegel im Kindsumfeld vermeiden)
  • So viel Körperkontakt wie möglich, Verzicht darauf nur wenn nötig
  • häufiger stillen (Beruhigungsstillen), später abstillen
  • Zeitplan dem Baby anpassen, nicht umgekehrt
  • Regelmäßigkeiten langsam einführen (kleine Ruhepausen mit dem Baby am Körper, leises Summen nach dem Stillen)
  • Schlaf des Kindes unterstützten: Leichte Zimmerabdunklung, Ruhe, eigene Pause. Mehr Tipps finden Sie im Artikel Schlafprobleme Baby – wenn das Schlafen Schwierigkeiten macht

Zur Rhythmusfindung der eigenen Schlaf- und Wachzeiten des Kindes trägt es auch bei, einen möglichst gleichmäßigen Tagesablauf während der ersten Wochen, beim Schreibaby während der ersten drei Monate zu schaffen.

Babys schreien, wenn Bedürfnisse nicht befriedigt werden

Das Baby ist sich seiner Bedürfnisse nicht bewusst, nimmt sie aber wahr und äußert sie durch Schreien.

Wenn ein Baby exzessiv schreit, ist es grundsätzlich einmal nicht zufrieden – Das Baby leidet!

Die Gründe dafür können unterschiedlich sein!

Es kann die Eindrücke, die auf es einstürmen nicht verarbeiten, kommt nicht zur Ruhe, kann nicht abschalten, sich seine Ruhepausen nehmen.

Die Last auf breitere Schultern legen

Ein Grund, weshalb bei Naturvölkern und Kulturen mit engem Mutter-Kind-Körperkontakt das Schreibaby kein Thema ist, sind auch die engen Familienverbände. Bei uns ist hingegen die Kleinfamilie die Regel.

Dennoch gibt es Möglichkeiten die Last mit dem Schreibaby auf breitere Schultern zu legen.

  • Beide Eltern sollten sich mit dem Herumtragen und Beruhigen abwechseln
  • Großeltern, so in der Nähe und willig, eine gute Freundin, Verwandte können jeweils kurzzeitig die Eltern unterstützen
  • Schreiambulanzen bieten Eltern Hilfe an

baby-17342_1280 by PublicDomainPictures - pixabay.com

Fazit

Ein Schreibaby ist eine Herausforderung, an der manche Eltern zu scheitern drohen. Eltern sollten sich niemals Schuldzuweisungen konstruieren, weshalb gerade ihr Kind ein Schreibaby ist. Vielmehr sollte man sich mit den Fragen & Antworten zum Thema beschäftigen, um sein Kind möglichst gut in diese schwierigen Phase zu unerstützen.

Je gelassener sie das akzeptieren können, desto besser ist die Situation zu meistern.

Damit sich nicht ein ungesundes Ungleichgewicht zwischen dem ständigen Schreien, der Nervosität und Überlastung der Eltern, Gereiztheit und Unsicherheit entwickeln, sollten alle erdenklichen Hilfen in Anspruch genommen werden.

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